Ratgeber Substitutionstherapie
Informationen für Betroffene und AngehörigeEine Sucht beschreibt das unabdingbare Verlangen nach einem Gefühls- oder Bewusstseinszustand und ermöglicht Betroffenen scheinbar, für einen Augenblick aus einer als unerträglich wahrgenommenen Situation zu entfliehen und ein vermeintlich positives Gefühl zu erleben. Eine tatsächliche Verbesserung der Situation ist allerdings nicht die Folge des Suchtmittelkonsums. Man unterscheidet zwischen stoffgebundenen Süchten wie Drogen oder Alkoholsucht und stoffungebundenen Süchten wie Spiel- oder Magersucht. Die Ursachen einer Sucht sind vielschichtig. Die Entstehung kann meist nicht an einzelnen Faktoren festgemacht werden, vielmehr ist das Zusammenspiel verschiedener Faktoren für die Entstehung der Abhängigkeit verantwortlich.
Welche Entstehungsursachen für eine Drogenabhängigkeit gibt es?
Ein bekanntes Modell zur Entstehung einer Drogenabhängigkeit ist die „Trias der Entstehungsursachen von Drogenabhängigkeit“ von Kielholz und Ladewig (1973). Nach diesem Modell kann zwischen drei grundlegenden Faktoren unterschieden werden: Persönlichkeit, Droge und soziales Milieu. Bezüglich der Persönlichkeit spielen die erblich bedingte Veranlagung sowie die Entwicklung und Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter eine entscheidende Rolle. Das soziale Milieu, die berufliche und familiäre Situation, der kulturelle und religiöse Hintergrund sowie die Einflüsse durch Mode, Werbung etc. können die Einstellung zur Droge und somit die Abhängigkeit beeinflussen. Die Droge selbst, die Beschaffungsmöglichkeit und die Art der Verabreichung und Dosis können einen Einfluss auf den Grad der Abhängigkeit haben.
Ein biochemischer Erklärungsversuch für Opiatabhängigkeit
Opiate sind natürliche oder synthetische Substanzen mit einer morphinartigen Wirkung. Diese binden an sogenannte Opiatrezeptoren im Körper, wodurch keine Schmerzsignale mehr an das Gehirn gesendet werden können. Die ausschlaggebende Wirkung des Opiatkonsums ist das Gefühl von Wohlbefinden und Lust, Schmerzlosigkeit und Euphorie. Diese Empfindungen werden vor allem durch die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin im Gehirn ausgelöst. Das menschliche Gehirn verfügt über ein Belohnungssystem. Dies verstärkt positiv zum Überleben notwendige Verhaltensweisen. Es gibt Anhaltspunkte, dass Heroin und andere Opiate diesen Belohnungskreislauf manipulieren und dem Süchtigen das Gefühl vermitteln, die Drogen seien für sein Überleben elementar. So kann auch Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre nach dem letzten Drogenkonsum noch extremer Suchtdruck entstehen.
Wege aus der Abhängigkeit (Sucht)
Opiatabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die auch durch Medikamente therapierbar ist – vergleichbar mit zum Beispiel Diabetes. Hier ersetzt das Medikament ein Leben lang auch das fehlende Insulin im Körper. Hunderttausende von Heroinkonsumenten haben ihre Sucht über Medikamente und Beratungsgespräche in den Griff bekommen. Doch es ist wissenschaftlich belegt, dass anhaltender Opiatkonsum langfristig eine Schädigung der Gehirnstruktur und -funktion verursacht. Diese Schädigung kann noch lange spürbar sein, nachdem der Süchtige seine Abhängigkeit erfolgreich hinter sich gelassen hat. Trotzdem ist die Suchttherapie der richtige Schritt. Der Weg in ein drogenfreies Leben führt zu mehr Gesundheit und Lebensqualität.
Bei einer medikamentös unterstützten Suchttherapie wird dem Patienten eine Substanz verabreicht, die der bislang zugeführten Droge ähnlich ist. Hierfür werden häufig Medikamente mit den Wirkstoffen Buprenorphin oder Methadon verabreicht. Opiatabhängigkeit ist eine chronische lebenslange Erkrankung, die zur Vermeidung von Rückfällen mit einer wirksamen Langzeittherapie – auch über Jahre hinweg – behandelt werden sollte.
Je nach Stabilität des Patienten und nach dessen persönlichen Wünschen kann dabei eine Verbesserung unterschiedlich aussehen. Manchmal scheint der Schritt aus dem alltäglichen Beschaffungsstress ausreichend, manchmal scheint das Ziel der gefühlten Heilung erreichbar. Dieser Prozess ist fließend und lohnt sich auch während der Therapie immer wieder zu hinterfragen.
Die Erfahrung zeigt, dass Patienten eine gute Chance zurück in ein normales Leben haben, wenn sie ihren Alltag neben der Sucht – und sei er anfänglich auch noch so beschränkt – bewusst und mit klarem Kopf erleben. Selbstverständlich betrifft dies nicht alle Patienten, wohl aber Patienten, die ihr Leben wieder mehr in die Hand nehmen möchten.
Manche opiathaltigen Medikamente enthalten Naloxon, das die nicht sachgerechte Verwendung (Schniefen oder Spritzen) des Arzneimittels erschwert und die Versuchung des fälschlichen Gebrauchs vermindert, da die bekannte euphorische Wirkung (Kick) ausbleibt. Weiterhin kann man das Medikament mit dem Naloxon-Zusatz schlechter auf dem Schwarzmarkt verkaufen, da durch diesen Zusatz kein hoher Preis mehr erzielt wird.
Für die Diagnose einer Opiatabhängigkeit gibt es internationale Richtlinien, die in der ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten) festgelegt sind. In der aktuellen Ausgabe (ICD-10) wird eine Abhängigkeit als psychisches und physisches Phänomen beschrieben, welches sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickelt. Charakteristisch für eine Abhängigkeit ist demnach der starke Wunsch, die Substanz (Droge) einzunehmen – trotz Wissen um schädliche Folgen. Betroffene haben Schwierigkeiten, den (Drogen-)Konsum zu kontrollieren; Verpflichtungen und andere Aktivitäten werden vernachlässigt, die Droge wird zum Lebensmittelpunkt. Zudem verspüren Betroffene häufig körperliche Entzugssymptome und benötigen immer höhere Mengen der Substanz (Droge), damit die gewünschte Wirkung eintritt.
In der Suchttherapie ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient fundamental. So sollten Patienten offen und ehrlich über eventuellen Suchtdruck und ihr allgemeines Befinden sprechen, wodurch sich Rückfälle häufig schon vermeiden lassen. Der Arzt kontrolliert die Einnahme des Substitutionsmittels in der Praxis; nach einer gewissen Therapiezeit kann auch eine Einnahme zu Hause stattfinden (Take-Home-Option). Dies ist allerdings nur möglich, wenn sich Arzt und Patient sicher sind, dass der Patient stabil ist (u. a. kein Beikonsum von anderen Drogen und Alkohol mehr) und sich nun bewusst für den nächsten Schritt in ein normaleres Leben entscheidet.